Interpretation des Märchens
Märcheninhalt

Das Märchen beschreibt wie Wassilissa von stiefmütterlichen, lebenswidrigen Umstände in das Reich der Hexe Baba Jaga, in die Grenzerfahrung des Sterbens, gezwungen wird. Der Segen der Mutter, gegenständlich im Püppchen festgehalten, ermöglicht dem Mädchen, die Forderungen der Hexe zu erfüllen und eine wichtige Erkenntnis für ihr Leben zu gewinnen. Wassilissa entdeckt ihre besonderen Fähigkeiten und sucht einen Weg, ihre Begabung zu verwirklichen. So wird sie die Frau des Zaren.

Thema des Märchens

Das Märchen ist eine Liebeserklärung an das Leben und an die Möglichkeiten, die in jedem persönlichen Leben verborgen sind. Lebenswidrige Bedingungen attackieren die Lebenskraft. Die Lust auf Leben schwindet und die Auseinandersetzung mit der Beendigung des Lebens beginnt. Leben bekommt durch eine persönliche Erkenntnis eine andere Wertigkeit. Die persönliche Entfaltung aus der wiedergewonnenen und vertieften Lebendigkeit ist das Ergebnis dieses Prozesses. In diesem Märchen geht es um die persönliche Entscheidung, die Zeit des Lebens zu nutzen und lebendig zu sein.

Definition Lebendigkeit

ebendigkeit ist mehr als Leben. In Lebendigkeit fließen Persönlichkeit, Leben und Zeit zusammen. Lebendigkeit ist persönliches Erleben in rhythmischer Verbundenheit. Lebendigkeit ist Nähe zur Schöpfung und ermöglicht für Augenblicke den Zugang zu dieser geheimnisvollen Kraft. Lebendigkeit ist gesegnetes Leben, das einen Ursprung hat, eine Aufgabe braucht und eine Erfüllung findet. In Lebendigkeit liegt der Sinn des Lebens verborgen. Lebendigkeit umschließt Liebe zum Leben und äußert sich in Hingabe an ein konkretes Ziel. Lebendigkeit ist Leidenschaft und wird in Schmerz- und Glücksgefühlen spürbar.

Rollenbeschreibung
Wassilissa

Das Mädchen Wassilisa scheitert an lebensfeindlichen Bedingungen und wird zur Besinnung gezwungen. Der Zugang zur Lebendigkeit rettet sie vor dem Tod und ermöglicht danach die schöpferische Verwirklichung.

Die gute Mutter

Die sterbende Mutter gibt der Tochter ein Vermächtnis mit auf den Lebensweg: "Gute Mutter sein" bedeuet im Märchen, Leben geben und Lebendigkeit ermöglichen. Sie gibt dieses Vermächtnis segnend / verbindend an die Tochter weiter.

Das Püppchen

ist Symbol dieses Vermächtnisses. Das Püppchen muß genährt werden, um Hilfe aus der Not und Unterstützung zur Verwirklichung geben zu können.

Die Stiefmutter und die Stiefschwestern

beschreiben die lebenswidrigen Umstände, Situationen und Personen. Bösartigkeit, Neid, Ablehnung, Gewalt und Vernichtung gefährden das Leben von Wassilissa und treiben sie zur

Hexe Baba Jaga

In ihrem Reich findet der Wechsel zwischen Leben und Tod statt. Die Hexe Baba Jaga ist ein Medium zwischen Leben und Tod. Wie die Sonne das Medium von Tag und Nacht ist, ist Baba Jaga das Medium von Leben und Tod.

Die weise alte Frau

eine lebenserfahrene Unterstützung und Orientierung, gibt dem Mädchen Unterkunft. In dieser sicheren Umgebung kann sich das Mädchen entfalten.

Der Zar
steht am Ende des Märchens als Spiegel für die wunderschöne Entwicklung von Wassilissa.
Interpretation des Märchengeschehens
Die gute Mutter stirbt:

„Wassilischka, höre auf meine letzten Worte! Ich sterbe und hinterlasse dir mit meinem mütterlichen Segen diese Puppe, behalte sie stets bei dir und zeige sie niemand; wenn dir ein Unglück zustößt, gib ihr zu essen und frage sie um Rat. Wenn sie gegessen hat, wird sie dir sagen, wie deinem Kummer abzuhelfen ist.“
In diesem Vermächtnis ist der Hinweis auf die persönliche Lebendigkeit und eine Aufforderung, auch in unglücklichen Zeiten am Leben nicht zu verzweifeln. Lebendigkeit ist die Möglichkeit, schwere Zeiten durchzustehen.
Segen bedeutet, „ich heiße dich gut - du bist mir willkommen“.
Segen bedeutet Akzeptanz, Wohlwollen, Ermutigung und Begleitung. Die „gute Mutter“ hat in diesem Märchen ein „wunderschönes Mädchen“ nach sich, das die Schönheit der Lebendigkeit im schöpferischem Werk/ Wirken zum Ausdruck bringen kann.
Zuerst aber bringen böse Umstände/ Stiefmutter das Leben des Mädchens in Gefahr und fordern Lebendigkeit heraus.
Das Vermächtnis der Mutter ist ein wohlzubehütendes Geheimnis, auf das das Mädchen in dieser Gefahr zurückgreifen kann. Diese Kraft, das Püppchen ruht in ihm und kann belebt werden, wenn sie nötig ist. Das Püppchen ist nicht aus sich selbst aktiv und hilfreich, sondern muß vorher von Wassilissa genährt werden. Es ist dem Mädchen vorbehalten, Zugang zu Lebendigkeit zu suchen und sie zu nähren. Das Mädchen gibt dem Püppchen die besten Bissen – es investiert große persönliche Energien in diese Suche. Das Märchenbild beschreibt die „Noch kindliche Hingabe“ an diese Quelle.
Das Wort Geheimnis bedeutet, daß kein anderer Mensch bei der Suche helfen kann. Niemand kann die Frage nach Lebendigkeit für einen anderen beantworten.

Das Unglück kommt

Der Vater täuscht sich in der Wahl seiner 2. Frau und Ersatzmutter für Wassilissa.
Die Stiefmutter und ihre beiden Töchter machen Wassilissa das Leben schwer.
Ihr Leben ist hart und freudlos geworden und sie hätte es ohne die Hilfe des Püppchens nicht ertragen. Diese Kraft ermöglicht widrige Umstände zu ertragen und trotzdem zu reifen. Wassilissa wurde trotz aller Widrigkeiten immer schöner, so daß junge Burschen um sie warben. Wassilissa ist stark, kräftig, ungestüm und lebenshungrig. Junge Burschen bieten sich als Spiegelbilder an. Wassilissa sprüht wie diese „jungen Burschen“ vor Kraft und Lebenslust - sie ist wie die Burschen, lebenslustig und froh, sehr vital, jugendlich lebendig. Die stiefmütterlichen Bedingungen können ihre Lebendigkeit nicht verhindern. Sie hat an Ausdruck und Schönheit gewonnen, wogegen die Stiefschwestern immer häßlicher werden und keine Bewerber finden und in ihrer Lebendigkeit verkümmern.

Das Unglück steigert sich

Die Mißachtung ihrer Töchter läßt sich die Stiefmutter nicht gefallen und sie verschärft ihre Vorgehensweise. Wassilissa muß in ihrer Lebendigkeit gehindert werden. Ein äußerer Umstand wird konstruiert, der Wassilissa zur Hexe Baba Jaga treiben soll.
Die Stiefmutter plant die Hexe Baba Jaga für die Durchsetzung ihrer Interessen ein. Sie zieht in ein Haus nahe an den Wald, in dem die Hexe wohnt. Sie schickt das Mädchen immer wieder in die Nähe der Hexe, um es an den Tod loszuwerden. Die Stiefmutter hat die Absicht zu töten oder dem Mädchen auf andere Weise die Lebenslust zu nehmen. Die Puppe zeigt Wassilissa, wie sie das Haus der Baba Jaga vermeiden kann. Sie kommt trotz aller Versuche der Stiefmutter nicht mit dem „Totenbereich der Hexe“ in Berührung. Sie findet immer einen Ausweg aus äußerst kritischen und unglücklichen Lebenssituationen. Sie verliert ihre Liebe zum Leben nicht. Das Püppchen wirkt sehr zuverlässig. Die Verbundenheit zum Leben, die Lebensfreude und Lebenslust sind stärker als die lebensfeindlichen Umstände. Wassilissa ist lebendig.

Die Stiefmutter trachtet nach Wassilissas Leben Konfrontation mit dem Tod

Die Stiefmutter arrangiert eine neue Situation, bei der Wassilissa keine Ausweichmöglichkeit mehr finden kann. Sie wird gezwungen, zu Baba Jaga zu gehen, um Licht zu holen - sie wird aus dem Haus gestoßen. Es wird ihr Gewalt angetan. Wassilissa wird in eine Lebensnot getrieben und ist auf dem direkten Weg zu Baba Jaga. Die Lebensumstände sind äußerst bedrohlich. Die Lebenszuversicht weicht einer Lebensangst. Lebendigkeit ist in Gefahr. In dieser schweren Zeit wird die Verbindung zum Püppchen intensiviert. Lebendigkeit gewinnt zunehmend an Bedeutung. Der Zugang zu dieser Quelle wird notwendig und immer vertrauter.
Das Püppchen macht Wassilissa Mut, den Weg zur Hexe zu gehen und gibt ihr Sicherheit. Lebendigkeit ist ein Gefühl der Sicherheit vor dem Tod.
Auf dem Weg zur Baba Jaga begegnet ihr der weiße Reiter, der den Tag ankündigt, danach der rote Reiter, der die Sonne bringt und zuletzt der schwarze Reiter.
„Der schwarze Reiter sprengte zum Tor und verschwand, als hätte ihn die Erde verschluckt - da wurde es Nacht.“ Diese Dunkelheit dauert nicht lange, denn die Hexe kommt in ihr Reich zurück und beleuchtet es auf ihre Art.

Wassilissa geht auf Baba Jaga zu und trägt ihren Wunsch nach Licht vor.
Sie geht lebendig in diese Krise/Auseinandersetzung mit dem Ziel, neue Erkenntnisse mit ins Leben zurücknehmen zu können.

Die Hexe nimmt das Mädchen mit in ihren Bereich und läßt sich bedienen. Wassilissa läßt sich auf die Bedingungen der Hexe ein. Sie hat nach wie vor Zugang zu ihrem Püppchen und greift bei Bedarf auf dessen Hilfe zurück. Wassilissa ist überaus lebendig. Das Mädchen kann die unlösbaren Aufgaben der Hexe erfüllen. Die Lebendigkeit des Mädchens wächst in dieser Konfrontation. Die Hexe kann nichts zum Aussetzen finden - die Arbeiten sind immer gemacht. Die Prüfungen der Hexe verstärken die Verbindung zwischen Wassilissa und dem Püppchen. Das Mädchen wird durch diese Erfahrung ihrer Lebendigkeit sicherer.
Wassilissa denkt über Leben und Sterben nach und sucht nach Erklärungen. Sie interessiert sich für das, was sie auf dem Weg zur Hexe gesehen hat. Wassilissa frägt nach der Bedeutung der drei Reiter. Baba Jaga gibt Antwort auf die Fragen außerhalb ihres Reiches, die das Leben betreffen. Die drei Reiter sind Symbole für den Tag- Nachtrhythmus auf der Erde. Die täglich ablaufende Lebenszeit bringt jeden Menschen vor das Tor der Baba Jaga - die Reiter sind ihre treuen und zuverlässigen Diener. Die Lebenszeit des Menschen ist das einzige Kriterium für das Ankommen bei ihr.

Wassilissa bedenkt die Vorwarnung der Hexe: „Zuviel Wissen macht alt.“

„Wassilissa dachte an die drei Paar Hände und schwieg.
Wissen aus dem Reich der Hexe gibt es nicht für Lebendige. Frägt das Mädchen unvorsichtig und dringt in die Funktion der Hexe ein, so wird es nicht mehr entkommen. Wissen aus dem Hof der Hexe bedeutet Tod.
Wassilissa ist klug und entscheidet sich, keine weiteren Fragen zu stellen, obwohl sich diese aufdrängen. Die Neugier nach dem Tod läßt sich nicht mit dem Wunsch nach Leben vereinbaren. Es gibt entweder - oder, das eine oder das andere, aber nicht beides gleichzeitig, alles zu seiner Zeit. Wie im Leben der kleine Rhythmus von Tag und Nacht, so ist auch der übergeordnete Rhythmus von Leben und Tod.

Die Sonne ist das Medium von Tag und Nacht - sie macht Tag und Nacht sichtbar.

Baba Jaga ist ein Medium zwischen Leben und Tod – sie macht Leben oder Tod sichtbar.

Baba Jaga bringt Licht ins Dunkel - sie beleuchtet den Tod und verdunkelt das Leben - sie erklärt den Tod, sie ist aber nicht der Tod, genauso wenig wie die Sonne der Tag ist.
Die Erde dreht sich um die Sonne. Der Mensch dreht sich um Baba Jaga.

Wassilissa hat Baba Jaga gut zugehört - sie hat ihre Warnung „zuviel Wissen macht alt“ verstanden. Zuviel Wissen vor seiner Zeit dreht die persönliche Lebensuhr weiter und macht vorzeitig alt - Baba Jaga wird dann diesen Todneugierigen aufnehmen können. Jeder kann seine persönliche Lebensuhr durch Neugier oder Unvorsichtigkeit weiterdrehen. Die Hexe greift in diese persönliche Entscheidung nicht ein, sie weist lediglich auf die Konsequenzen hin.
Baba Jaga ist ein Gesetz – sie hat keinen Spielraum. Sie ist eine festgelegte Funktion. Ihre furchterregende Gestalt spiegelt lediglich die Angst des Menschen vor diesem Schritt aus dem Leben.

Baba Jaga stellt nun ihre Frage an Wassilissa

„Wieso bringst du all die Arbeit fertig, die ich dir auftrage?“ Wassilissa ist anders als die üblichen Ankommenden. Sie gehört zu den Sterbenden, handelt aber nicht, wie dies üblich ist. Die Hexe ist irritiert. Sie will wissen, mit welchen Mitteln Wassilissa sie an ihrer Funktion hindert, sie aus dem Leben zu nehmen. Es ist vergleichsweise so, als ob jemand die Sonne am Aufgehen hindern würde.

Die Antwort von Wassilissa: „Mir hilft meiner Mutter Segen“ sagt der Hexe, daß die Zeit zum Sterben für das Mädchen noch nicht gekommen ist. Sie ist keine Sterbende, sondern wurde durch widrige Umstände in diesen Weg gezwungen. Wassilissa hat die Bindung zum Leben nicht verloren - sie bejaht das Leben, sie will leben, sie ist voll Leben, sie ist lebendig. Wassilissa hat Leben mit ins Hexenreich gebracht. Sie ist fehl am Platze – sie stört den geregelten Ablauf – sie stört den Rhythmus.

Die Hexe ist wütend über den Betrug

Baba Jaga handelt ihrer Funktion entsprechend, stößt das Mädchen aus ihrem Reich und gibt ihr einen leuchtenden Totenschädel mit auf den Weg zurück ins Leben. Wassilissa bekommt das gewünschte Licht für die Stiefmutter mit. Wassilissa nimmt eine Kraft/ Feuer und Erkenntnis/ Licht aus der Begegnung mit Baba Jaga.
Die Hexe ist wütend über die Deplazierung des Mädchens. Sie ist wütend auf die anmaßende Stiefmutter, die die Hexe benutzt hat, um ihre Ziele zu verfolgen. Die Stiefmutter wollte töten und zu diesem Zweck Baba Jaga benutzen.

Baba Jaga antwortet auf diese Untat

Der glühende Totenkopf treibt die Stiefmutter und ihre Töchter in den Schlund der Hexe. Baba Jaga erklärt in diesem Bild ihre alleinige Zuständigkeit für Leben und Tod. Das Hineintreiben eines anderen in den Tod, das böse Trachten nach der Lebendigkeit hat den eigenen Tod zur Folge. Der Rhythmus von Leben und Tod ist nicht veränderlich - Baba Jaga ist dafür zuständig, den jeweiligen Zustand möglich zu machen.

Der 2. Teil des Märchens
Dieser Teil beschreibt die Entwicklungsschritte hin zur persönlichen Verwirklichung
1.Schritt
Wassilissa sucht sich einen neuen Platz im Leben - Sie wendet sich dem Leben neu zu

Wassilissa verläßt das stiefmütterliche Haus. Sie sucht einen anderen Ort mit günstigen Lebensbedingungen. Sie wählt eine Stadt aus und bittet die alte Frau, in ihrem Haus wohnen zu dürfen. Sie braucht Orientierung, Geborgenheit und Schutz.
Die weise Frau bemuttert Wassilissa nicht, sondern sie stellt lediglich ihre Unterkunft zur Verfügung. Sie bedrängt das Mädchen nicht. Es ist Zeit zum Ruhen und Nachdenken.
Eine große Veränderung in Wassilissas Leben ist passiert. Veränderung ist Ausdruck von persönlicher Lebendigkeit. Lebensfeindliche Bedingungen wurden durch positive Möglichkeiten abgelöst. Hier beweist Wassilissa zum erstenmal eine Aktivität, eine Lebendigkeit ohne die Mithilfe des Püppchens.

2. Schritt
Wassilissa will spinnen – sie will sich betätigen – sie will sich zeigen, sich beweisen.

Wassilissa will Langeweile vermeiden – sie will ihre Zeit nutzen. Langeweile ist ein Zeichen für Verlieren von Lebendigkeit und eine Aufforderung, etwas zu unternehmen.
Wassilissa will spinnen - eine weibliche Tätigkeit. Sie will ihre Eigenschaften - ihre Fähigkeiten einsetzen. Sie spinnt ein wunderbares Garn; Wassilissa ist eine Person mit besonderen Fähigkeiten.
Wassilissa will weben, ihre Fähigkeiten zu einem nutzbaren Ergebnis zusammenfügen. Es geht hier um Begabung oder Berufung. Besondere Fähigkeiten dienen einem besonderen Zweck.

Der geeignete Webstuhl für das Garn - das passende Werkzeug fehlt.

Für das wunderbare Garn findet sich kein passender Webstuhl. Ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten können nicht in einem „üblichen Rahmen“ zur Wirkung kommen. Der Webstuhl, der Rahmen, auf dem sie ihre Eigenschaften und Fähigkeiten zusammenfügen kann, ist auch nicht von der weisen Frau erhältlich. Wassilissa kann etwas ganz besonderes. Sie hat eine Gabe, eine Begabung, die aus dem üblichen Rahmen herausfällt.

3. Schritt
In dieser Situation wendet sich das Mädchen wieder an ihr Püppchen.

Wassilissa ist diesmal nicht in einem Unglück gefangen, sondern will etwas Besonderes aus sich selbst schaffen. Die Motivation findet sie nicht außen, sondern innen. Das Püppchen, die persönliche Lebendigkeit schafft die Basis für dieses Vorhaben. Das Püppchen macht den passenden Webstuhl. Das Püppchen wird zur Quelle für ihr schöpferisches Tun. Das Püppchen bietet die Ausdrucksmöglichkeit/ Webstuhl an. Lebendigkeit macht ein schöpferisches Werk/Wirken möglich und im Werk/ Wirken wird Lebendigkeit sichtbar. Lebendigkeit bringt Begabung zum Ausdruck und im Ergebnis ist Lebendigkeit sichtbar. Wassilissa als Person ist in diesem Prozeß ein Medium.
Wasilissa webt ein wundervolles Linnen.

Beginn des Spiegelprozesses – die Verwirklichung
Die Verbindung des Geschaffenen mit der Persönlichkeit

Wassilissa schenkt das Linnen der alten Frau und diese betrachtet und ordnet es zu. Sie bewertet das Werk/ Wirken.

„ Niemand anders als der Zar kann solches Linnen tragen.“

Das Werk ist einem Zaren würdig - es ist demnach eine sehr wertvolle Arbeit. Nicht Wassilissa selbst, sondern die alte Frau bringt die Ware zum Zarenhof. Es handelt sich um ein Werk oder Wirken, das unabhängig von der Person beeindruckt und höchste Anerkennung erhält. Das Ergebnis beeindruckt den Zaren. Wassilissa löst sich von ihrem Werk. Sie hat keine direkte Beziehung zu ihrer Begabung und dem Ergebnis. Person und Werk sind noch nicht eins. Im Spiegelungsprozeß betrachtet, ist sie dem Zaren als Weberin unbekannt.
Als niemand dem Zaren Hemden aus dem Linnen nähen kann, holt er die Alte wieder an seinen Hof und gibt ihr den Auftrag.

Die Spiegelung von Wassilissa mit dem Zaren - die Verbindung von Werk und Person

Die alte Frau benennt die wirkliche Weberin.
Wassilissa wird als schaffende Person zum erstenmal gegengeschlechtlich benannt. Der Zar fordert sie auf, seine Hemden zu nähen.
Der Spiegelaufforderung verdeutlicht, daß Wassilissa ihr Werk an sich nehmen soll. Sie soll sinnbildlich betrachtet, ihren Körper damit bekleiden. Der Zar spiegelt zuerst die Wertigkeit des Werks und im nächsten Schritt die Zusammengehörigkeit von Werk und Person.
Als die alte Frau mit diesem Auftrag heimkommt, ist Wassilissa nicht überrascht. Sie weiß von diesem nächsten Schritt. „ Ich wußte, daß mir die Arbeit zufallen würde.“ In der lebendigen Schaffensphase/ Kreativität ist der Mensch nicht austauschbar - jeder macht sein Werk/Wirken auf seine Art und Weise. Jede schöpferische Arbeit bedeutet Einmaligkeit. Kreative Werke/ Wirken tragen immer den Namen des Schaffenden.
Wassilissa näht die Hemden - sie steht zu ihrem Werk und gibt ihm ihren Namen.

Spiegelabschluß

Die alte Frau bringt die Hemden zum Zaren und Wassilissa bereitet sich auf eine Begegnung mit ihm vor.
Der Zar verliebt sich in Wassilissas Schönheit und spiegelt dadurch beides: ihre persönliche Schönheit und die Wertigkeit ihres Werks oder Wirkens. Werk und Persönlichkeit werden in diesem Spiegelschritt verbunden.

Im schöpferischen Prozeß wird sich die Person erst im Nachhinein mit dem Werk verbinden. Das was geschaffen wurde, wird erst im Nachhinein dem Schaffenden zugeordnet. Lebendigkeit und Persönlichkeit harmonieren in besonderer Art und Weise – die Person tritt zurück und ordnet sich Lebendigkeit unter. Danach tritt die Person wieder in den Vordergrund und das Werk kann zugeordnet werden.
Die Person kann sich nie mit der schöpferischen Quelle verbinden, sondern nur Zugang zu dieser haben und über das Werk ausdrücken. Der Ursprung bleibt ein Geheimnis.

Alles Lebendige ist im Rhythmus eingebettet.

Wassilissa, die Wunderschöne ist dem Wunder der Lebendigkeit, der Schöpfung ein Stückchen nahegekommen und kann dies in ihrem Leben auch ausdrücken. Das Märchen ist eine Liebeserklärung an die Schöpfung.
Kreativ sein ist die Möglichkeit, ein Stückchen davon zu spüren, zu sein, auszudrücken und weiterzugeben.