Wichtige Informationen für den Leser zum Umgang mit diesem Buch
Zur Entstehung des Buches

Ich male seit 30 Jahren und bin Autodidakt.

Das erste Bild " das Geißlein im Uhrenkasten" entstand 1990 aus einem persönlichen Anlass.
Das "zündelnde Rumpelstilzchen" malte ich 1991 für meinen Sohn Franz Georg, der im Alter von 10 Jahren gern mit dem Feuer spielte. Ich wollte ihm die Gefahr des Zündelns klar machen. Dieses Rumpelstilzchen löste das Bild " Feuerpfeil" aus und die Idee der Märchenillustration war da. Begleitend dazu entstanden 3 Nebenprodukte. Wie gewöhnlich legte ich die Bilder auf die Seite, um mich frei zu machen. 1992 fiel mir das Bild vom kleinen Geisseln in die Hände und ich malte diese Geschichte fertig. Nebenbei entstanden wieder sogenannte Nebenprodukte.
Malen ist für mich eine kuriose Beschäftigung, in die ich eintauche, schwimme, untertauche, mich treiben lasse, um Luft kämpfe und manchmal ausgelaugt aus dem Wasser steige. Malen ist harte Arbeit. Wenn ich nach einer längeren Zeit das Bild betrachte, hat sich die Beziehung neutralisiert und das Bild ist eigenständig und unabhängig von mir und ich von ihm. In dieser Distanz fiel mir auf, daß ich die Märchenthematik in zwei verschiedenen Formen dargestellt habe. Die realistischen Bilder zeigten das Märchengeschehen, die nichtgegenständlichen Bilder zeigten den Prozeß. Ich habe die Geschichte illustriert und dadurch entstanden innere Bilder. Die Bildreihe war komplett – ich mußte nichts ergänzen. Ich war erstaunt, als ich diese Übereinstimmung in den Bildern erkannte. Ich holte alle Bilder der "Rumpelstilzchen-Phase" heraus und ich stellte die gleiche Stimmigkeit fest. Jetzt war mir klar, daß ich durch ungelenkte Konzentration zu diesem Ergebnis gekommen bin.

Mit dem Bildmaterial begann ich nun, über die Aussage des Märchens nachzudenken und meine Gedanken aufzuschreiben. Eine sehr schwierige Arbeit begann. Ich habe verschiedene Versionen durchdacht, verschiedene Ausgangspunkte gesucht, verschiedene Schwerpunkte gesetzt und hin und her experimentiert. Ich habe auch eine berufliche Weiterbildung begonnen, in der die Interpretation und die therapeutische Arbeit mit Märchen Inhalt war. Ich habe Interpretationen im psychosozialen Kontext versucht – ich war mit den Ergebnissen nicht zufrieden.
Ich habe dann einfach die wissenschaftliche Seite vergessen und fing ganz von vorne an – ich versuchte, die Bildsprache der Märchen zu verstehen. Wie ein ABC- Schütze habe ich mich den einzelnen Bildern zugewandt, unabhängig vom Gesamten. Die nebenherlaufende neue Malperiode brachte mich ein Stück weiter.

Ich begann im Urlaub1996, ohne das Märchen überhaupt zu benennen, mit einem kleinen Bild "Der Totenzaun". Zwei Monate später starb meine Schwester und ich mußte mich mit dem Thema Tod in all seinen Erscheinungsformen, auch Freitod auseinandersetzen. Ich kann heute nicht mehr sagen, wie ich auf die Hexe Baba Jaga gekommen bin. Das Märchen war einfach da und ich malte monatelang nur Hexen- und Totenkopfgestalten. Es war eine beängstigende Zeit für meine Kinder, mich so intensiv an diesem Thema arbeiten zu sehen. Mich selbst hat es nicht beängstigt.
Da ich schon von den anderen beiden Märchen die Bilderzugehörigkeit kannte, stand ich nun vor der Frage, wo bleiben meine inneren Bilder zu diesem Thema. Ich malte keine. Ich erinnerte mich an eine Zeit im Jahr 199 , wo ich mich 10 Tage auf Amrum in einen Wohnwagen zurückzog, um eine persönliche Erfahrung abzuschließen. Ich brachte 5 Bilder mit und diese legte ich nun zu den Baba Jaga Bildern. Die Ergänzung war deutlich – diesen Prozeß habe ich in dieser Klausur durchgemacht und gemalt.

Bei der Interpretation dieses Märchens wurde mir die Methapher " Hochzeit" verständlicher – ich konnte die Hochzeit der Müllerstochter mit der Hochzeit von Wassilissa vergleichen und der Unterschied erweiterte mein Verständnis von Methaphern. Eine Methapher im Einzelbild kann ihre Bedeutung im Gesamtwerk ins Gegenteil verändern. Ich ahnte den Märchenkontext, in dem die einzelnen Sequenzen ihren Sinn erhalten. Ich ahnte die Konstruktion des Märchens. Ich schrieb Gedanken zur Methapher Hochzeit auf – diese auffälligste und immerwiederkehrende Methapher wollte ich verstehen lernen. ( siehe Kapitel Hochzeit )

1998 begann ich das Märchen " Der Eisenhans" zu malen und 1999 das Märchen " Der liebste Roland". Mittlerweile ist aus dem Zufall eine ernsthafte Auseinandersetzung geworden und ich versuche, diese Arbeit zu veröffentlichen.

Die drei Märchen "Der Wolf und die sieben jungen Geißlein", "Rumpelstilzchen" und "Die Hexe Baba Jaga und Wassilissa die Wunderschöne" sind Methaphern für die Existenz von Gut und Böse, Gewalt, Zerstörung und Unmenschlichkeit.

Im nächsten Zyklus " Der Eisenhans" und " Der Liebste Roland" geht es um Liebe und Mitmenschlichkeit. Vielleicht findet sich ein drittes Märchen.

Märchen als Methapher

Märchen sind bildhaft verschlüsselte Lebenserfahrungen vieler Menschen – Märchen sind Menschengeschichte.

In einem Sprachbild "Methapher" werden die Einzelheiten in Zusammenhang gebracht, die Situation wird abstrahiert und die Aussage in dieser Abstraktion konzentriert. Auf diese Art und Weise wird eine Situation nicht zerpflückt, sondern sie kann so geschlossen wiedergegeben werden und ermöglicht eine Aussage. Märchen sind demnach auch ein Stück Sprachkunst. Die nichtbenannten Einzelheiten sind im Gesamtbild – nichts geht verloren - jede Einzelheit behält ihre Wichtigkeit und fließt in die Gesamtheit. Methaphern erhalten so ihre Objektivität – die Situation ist vom Persönlichem abstrahiert, kann aber zurückübertragen werden. Die verschlüsselte Lebenserfahrung ist allgemeingültig und wird zur Lebensweisheit.

In Epochen treten auf Grund der Lebensbedingungen gehäuft Probleme auf. Das Märchen "Rumpelstilzchen" beschäftigt sich ganz konkret mit der Entfremdung der Frau und der Dominanz des Mannes. Das Märchen beschreibt eine Auswirkung des Patriarchats. Märchen beschreiben nicht nur die psychosozialen Probleme des Einzelnen, sondern werfen auch einen Scheinwerfer auf den Hintergrund.

Bildsprache

Die Märchensprache ist m.M.n. zu vergleichen mit der Traumsprache. In nicht allen, aber bestimmten Träumen abstrahiert der Mensch sein persönliches Befinden in Traumbilder: alle Einzelheiten fügen sich zu einem Bild zusammen und es ergibt eine " Ist- Aufnahme" seines Seins. Methapher oder Bildsprache ist eine menschliche Ausdrucksform – sie liegt in uns. Sie hat m.M.n. eine sehr wichtige Aufgabe: sie sorgt für Übersicht, Klarheit, Logik, ist frei von Gefühlen, nimmt die Vergangenheit auf und weist in die Zukunft hinein. Sie hebt die Persönlichkeit des einzelnen nicht auf, sondern stellt das persönliche Erleben in einen übergeordneten Lebenszusammenhang.
Aus diesem Grund traue ich mich, meine persönlichen inneren Bilder in das Märchen zu geben oder an das Märchen zurückzugeben.

Umgang mit den Märchen

Märchen auf Geschichten für Kinder zu beschränken ist schon lange überholt. Ich meine, daß nur bestimmte Märchen für Kinder geeignet sind. Seit ich mich näher mit Märchen befasse, bin ich mit der Auswahl sehr vorsichtig geworden. Märchen können helfen, aber auch ängstigen, überfordern, abschrecken und gefährden, auch Erwachsene. Märchen können Prozesse auslösen, da ihre Symbole und Zeichen auf Menschen wirken. Wir Menschen sind nicht diese unabhängigen Individuen, die wir gerne sein möchten. Wir reagieren auf das Alphabet der Kultur und sichern damit die soziale Basis. Die Entdeckung der Märchen als Therapiemöglichkeit wirft viele Fragen auf. Meiner Meinung nach sind Märchen noch nicht genügend erforscht - eine genaue analytische Arbeit ist notwendig.

Märchengestalten

Von den 3 Märchen ist das Märchen "der Wolf und die sieben jungen Geißlein" für Kinder geeignet.

Rumpelstilzchen ist eine dubiose/ zwiespältige Figur. Sie verschlüsselt den Entfremdungsprozeß der Persönlichkeit und die Auflösung der Figur ist für Kinder nicht nachvollziehbar.

Baba Jaga ist eine Figur zwischen Leben und Tod, eine geistige Größe, die Kinder noch nicht begreifen können.
Eine Figur, die keinen festgelegten zugewiesenen Wohnort hat, kann Kinder, aber auch Erwachsene mit psychischen Abgrenzungsproblemen sehr beängstigen. Die Unterscheidung von Phantasie und Wirklichkeit ist Voraussetzung, diese Geschichten ertragen zu können.

Jeder von uns hat eine persönliche Beziehung zu Märchen. Märchen begleiten unsere Kindheit. Märchengestalten sind jedem bekannt. Jeder weiß etwas über Hexen, Zauberer, Zwerge, Prinzessinnen, Frösche, Wölfe, Feen und andere Figuren. In früheren Zeiten, märchenhaft gesprochen, als das Wünschen noch geholfen hat, wurden unerklärliche innere und äußere Prozesse einer Figur zugewiesen. Diese Projektion hat entlastet, den krisenhaften Prozeß entschärft, Handlungsmöglichkeiten gegeben und Erfolg gezeigt. In der heutigen Psychotherapie gibt es andere Mittel, sich z.B. von einem traumatischen Erlebnis zu distanzieren.
Hexen, Zauberer und andere böse Geistwesen verkörpern den krisenhaften Prozeß – sie sind das Bild der Gefahr. Gute Geister, Feen und Zwerge sind Gestalten für die positiven Prozesse, auf die man sich einlassen sollte.

Symbole

Symbole wie Pferd, Spinnrad, Puppe, Brunnen usw... sind Wegweiser und führen durch den Prozeß. Wir reagieren auf Symbole – wir alle haben Symbolkenntnisse – es ist ein Teil unserer Kultur, eine stumme Sprache. Das Symbol findet Anklang und berührt den Einzelnen unterschiedlich stark. Es gibt Menschen, die sehr stark mit Bedeutungen reagieren und ihr Leben danach ausrichten und es gibt Menschen, die weniger stark reagieren. Gar nicht zu reagieren, halte ich für fast ausgeschlossen. Wie wir aus unseren heutigen " Werbestrategien" schließen können, wirken Symbole und werden gezielt eingesetzt. Symbole können positive und negative Auswirkungen haben. Der Aberglaube ist ein Produkt dieser Negativwirkung. Der Mensch sollte sich Symbolen nicht ausliefern, sondern sollte auch versuchen, das Ziel der Symbolisierung zu erkennen. Danach kann ich die Wirkung des Symbols zulassen oder zurückweisen. Die Wahlmöglichkeit ist Schutz vor Symbolmißbrauch.

Kritik

Ich habe während meiner Arbeit die Märchen auch immer wieder argwöhnisch betrachtet und werde dies auch weiterhin tun. Ich möchte auch jeden Leser bitten, dies zu tun. Mit Märchen ist es m.M. nach wie mit Glaubensdingen. Alles, was man glauben möchte oder was fasziniert, sollte man genau betrachten, überdenken, bezweifeln und abwägen. Die geistige Auseinandersetzung darf nicht eingeschränkt oder abgenommen werden. "Glauben müssen" ist geistige Freiheitsberaubung und gegen die menschliche Würde. Das kulturelle Erbe in den Märchen darf und muß hinterfragt werden.
Ich finde Märchen spannend und interessant – ich möchte aber noch einmal betonen, daß in der geistigen Auseinandersetzung mit den Inhalten die Aussage zu finden ist. Ich bezweifle, daß die psychische/ therapeutische Arbeit über Märchen sinnvoll ist. Ich habe große Vorbehalte.

Der Märchenrahmen –
die Methapher der Hochzeit - Spiegelungsprozeß

Es war einmal ..... so beginnt ein Märchen und endet meist mit der Hochzeit .... und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende...!
Am Ende eines Weges findet die Hauptfigur den gegengeschlechtlichen Partner. Weiblich und männlich, die beiden Pole stehen sich gegenüber und finden abschließend eine glückliche Verbindung. Die Trennung hat sich aufgelöst, die Prüfungen sind bestanden und ein Ziel ist erreicht.

Durch die Hochzeit wird die Entwicklung der Märchenhauptfigur bestätigt.
Ich verwende in meinen Interpretationen für Hochzeit den Begriff der Spiegelung. Bis zum Zeitpunkt der Hochzeit spreche ich von Spiegelungsprozeß. In der Reaktion des Spiegels wird die Entwicklung der Märchenfigur sichtbar, bestätigt oder vorangetrieben. In diesem Spiegel kann ich die Befindlichkeit und auch den nächsten erforderlichen Entwicklungsschritt ablesen. Es geht im Märchen nicht um die Entwicklung der Paarbeziehung, sondern um den Reifeprozeß der Hauptfigur.

Je würdevoller die Spiegelperson erscheint, wie z.B. der Zar bei Wassilissa, desto intensiver und weitreichender ist die Entwicklung der Hauptfigur zu bewerten.

Der Unterschied zwischen der Hochzeit der Müllerstochter und der Hochzeit der Wassilissa verdeutlichte mir, daß Hochzeit auch in der Gegensätzlichkeit zur Persönlichkeitsfindung als Persönlichkeitsentfremdung interpretiert werden kann. Die Müllerstochter wurde in eine vorgegebene Entwicklung gezwungen – ein negatives Hochzeitsgeschehen. Bei Wassilissa wurde ein positiver Hochzeitsverlauf beschrieben.

In diesem Hochzeitsrahmen betrachte ich den Märchenverlauf und richte meine Interpretation danach aus.
Bei den einzelnen Schritten betrachte ich den Spiegel als Hinweis und als Kontrolle. Der Spiegel ist der Leitfaden, der rote Faden in dem Verlauf. Ich gehe diesem Faden einfach nur nach.

Diese Spiegelkonstruktion kann auch auf das Märchen "Der Wolf und die sieben jungen Geißlein" übertragen werden. Der Wolf ist der Spiegel der Geißenmutter – die Entwicklung des " Guten" ist im Spiegel des Bösen sichtbar. Der Spiegel " Wolf" löst sich auf und ist die Bestätigung des Guten.

Im Spannungsbogen der Gegenteiligkeit ereignet sich Entwicklung – eine übergeordnete Lebensweisheit aus der Märchenkonstruktion, vermutlich ein Lebensprinzip. Spannung sorgt für Impulse, Veränderung, Entwicklung und ist Lebendigkeit.

Schluß
Zu der Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat ... – diese Methaper macht Mut, das Leben zu wagen mit all seinen schlimmen und auch schönen Seiten.
Ein Leben ohne Krisen gibt es nicht, aber es gibt Möglichkeiten Zustände zu verändern.

Gute Unterhaltung und viele eigene Ideen wünscht Ihnen

Christa Ulmer-Thurn