Innere Bilder
Das Böse draußen – die heile Welt innen
Schwarz und Weiß – die theoretische Trennung von Gut und Bös

Der Traum vom Paradies ist eine tiefe Sehnsucht jedes Menschen. Jeder sucht Wohlwollen und Liebe. Die Wirklichkeit ist anders als der Traum. Wo Menschen aufeinandertreffen, gibt es Konflikte, gibt es Reibungen, gibt es Gut und Böse, gibt es Streit und Versöhnung, Liebe und Haß, Nehmen und Geben, Neid und Verzicht, Anerkennung und Ablehnung. Menschen leben in der Spannung von Gut und Böse. Menschen haben unterschiedliche Interessen, Absichten, Bedürfnisse und Gefühle.
Menschen haben unterschiedliche Moralvorstellungen.
Der unerfahrene Mensch/ Kind bemüht sich, sich aus der Spannung zwischen Gut und Böse herauszuhalten. Die Angst vor dem zerstörerischen Bösen ist groß und berechtigt. Diese naive Einstellung hält der Wirklichkeit nicht stand. Selbst das Gute erschöpft sich in dieser Einseitigkeit/ Spannungslosigkeit.
Gutes muß sich immer wieder verwirklichen - Böses muß immer wieder aufgelöst werden.
Gut und Böse gehören zusammen. Das Gute ist ohne das Böse nicht existent und das Böse wird nicht ohne das Gute aufgelöst.
Der Versuch mit Bösem nicht in Berührung zu kommen, ist keine Lösung, sondern führt zu Lustlosigkeit, Sinnlosigkeit, Leere und Leblosigkeit. Das Leben wird langweilig.
Die Spannung ist weg und muß wieder hergestellt werden.

Die Geißenmutter muß Nahrung von draußen holen, in der auch der böse Wolf zuhause ist.

Böses bekommt Zugang
Zusammenbruch und Chaos

Das Böse drängt sich auf, beschäftigt, reizt, provoziert, überfällt, verführt, beraubt, nimmt, attackiert, fordert auf, erschreckt, gewinnt...........
Die Orientierung geht verloren – das Gute ist nicht mehr eindeutig erkennbar. Gut und Böse vermischen sich - Widersprüche tun sich auf – Gefühle zerreißen das naive Selbstbild und das Bild von der Welt. Zweifel drängen sich auf. Gut und Böse explodieren in ihrer Berührung – bringen Kräfte zum Ausdruck.......bringen Bewegung. Es passiert etwas Außerordentliches, Gefährliches, Bedrohliches und Intensives.
Dieses Ereignis löst einen Impuls aus. Ein Teil rettet sich aus diesem Chaos. Etwas Eigenständiges/ Persönliches entsteht.
Aus dem Chaos entspringt ein Teilchen Persönlichkeit, das sich entwickeln kann.

Das jüngste Geißlein flüchtet sich in den Uhrenkasten.

Der Anfang

Das naive Weltbild ist zerstört worden und ein neues gibt es noch nicht.
In der Sicherheit des Verstecks findet der Mensch sich wieder. In sich selbst nimmt die Entwicklung ihren Anfang. Eigene Gedanken formen sich – Fragen werden gestellt, Antworten werden gesucht. In dieser eigenen Welt liegt der Ursprung für die Persönlichkeitsentwicklung. Angst vor dem Bösen und Hoffnung auf das Gute stehen gegeneinander.
Es gibt das Gute aber auch das Böse – was ist was? Die Unsicherheit ist groß – das Vertrauen zerstört. Ratlosigkeit und Warten auf ein Zeichen. Wie geht es weiter?

Was ist gut – was ist bös?
Kommt die Geißenmutter zurück?
Kommt der Wolf zurück?

Die ersten Schritte in die Wirklichkeit von Gut und Bös

Hoffnung ist die persönliche Antwort auf diese berechtigte Angst. Nicht nur das Böse ist draußen, sondern auch das Gute. Hoffnung ist ebenso berechtigt. Es entsteht eine neue Anbindung nach außen. Trotz der Erfahrung mit dem Bösen kommt der Glaube an das Gute wieder zurück. Diese Einstellung öffnet - es gibt keinen anderen Weg aus der Eingeschlossenheit. Dieser Schritt ist eine persönliche Entscheidung, trotz der Existenz des Bösen das Leben zu wagen und das Gute zu suchen. Die Kraft, diesen Schritt zu tun, liegt in jedem selbst. Wer an das Gute in sich glaubt, hat guten Grund auch an das Gute im anderen zu glauben. Das Risiko, sich dennoch täuschen zu können, wird eingegangen.

Die Geißenmutter kehrt mit vollem Futterkorb zurück und befreit das Geißlein aus dem Uhrenkasten.

Leben heißt antworten auf Gut und Bös/
Verantwortung seines Tuns

Sich stark und mutig dem Bösen zu stellen, ist die menschliche Leistung schlechthin. Es gibt Gelegenheit genug im alltäglichen Leben. Böses ist außen und innen, es bietet sich von verschiedenen Seiten an. Böses ist nicht einfach zu erkennen – er erfordert Annäherung, Betrachtung und Handlung. Erfahrungen werden gesammtelt. Böses fordert den persönlichen Einsatz, eine Reaktion, eine Antwort, eine Stellungnahme. Böses verlangt eine Einmischung. Böses kann sich nur entwickeln, wenn es zugelassen wird. Wegschauen, Zurückziehen, nicht Handeln sind Mechanismen, die das Böse ermöglichen.
Das Gute ergibt sich in der Handlung des Menschen – Theorie ist nur die Vorstellung vom Guten. Folgt der Theorie nicht die Handlung, so ist Theorie ein Pseudonym, das scheinbar Gute. Ob der Mensch tatsächlich gut ist, entscheidet sich nur in der Tat.

Die Geißenmutter sucht den Wolf und schneidet seinen Bauch auf.

Das Ergebnis ist Glücklichsein

Das Streben nach dem Guten ist die einzige Möglichkeit, das Gute zu verwirklichen. Die Möglichkeiten des Bösen werden damit begrenzt.

Menschliche Schwächen wurden überwunden. Große Fehler wurden gutgemacht. Der Mensch erhebt sich mit diesem Schritt über seine irdische Natur – er kommt dem Paradies aus eigener Kraft ein Stück näher – er ahnt das mögliche Gute in ihm selbst und bekommt gleichzeitig einen erfahrenen Blick auf das Böse.
Jeder Mensch sollte es ab und zu schaffen, das Böse zu besiegen, um dem Guten ein Stückchen nachfühlen zu können. Gutes tun und bewirken ist Zärtlichsein zur Seele. Gutes Tun bringt ein Gefühl der Seligkeit – ist ein kurzer Blick ins verlorene Paradies.
Die Entscheidung für Gut oder Bös wird immer wieder neu getroffen.

Der Wolf hat oft Gelegenheit in den Brunnen zu fallen.

Gedanken
Ich glaube, daß der Mensch weder gut noch böse ist – er wird in dieser Welt vor die Frage gestellt, für welche Seite er sich letztlich entscheidet. Im Laufe seines Lebens sammelt er Erfahrungen, wird sich mal auf diese, mal auf die andere Seite stellen. Böses bietet mit Sicherheit sehr verführerische Angebote. Menschen fügen sich aus unterschiedlichen Gründen gegenseitig mehr Böses als Gutes zu. Menschen sind in ihrem Egoismus oft grausam zueinander – sie nehmen sich von anderen gewaltsam Dinge, die sie für sich brauchen, materielle und ideelle Güter. Das Gut wird zum Mittel/ die Welt bietet viele Güter, viel Gutes – Menschen haben die Freiheit, damit umzugehen. Böses schadet dieser Welt und Gutes entspricht dieser Welt.

Jeder kann seine eigenen Handlungen überprüfen in kleinen Dingen und im allgemeinen.

Abschluß

Betrachtung des Spiegelprozesses

Die Geißenmutter und der Wolf sind die Spiegelmöglichkeiten für die Entwicklung der Geißenkinder – die Möglichkeit der Auseinandersetzung mit Gut und Böse wird in der Figurengruppe der Geißen angedeutet.
Als die Geißenmutter weggeht, um Nahrung zu suchen, verläßt der positive Spiegel die Entwicklungsfigur und fordert sie gleichzeitig auf, sich vor der negativen Spiegelung, dem Wolf, zu hüten. Einem "kleinsten Teil" gelingt dies. Daraufhin kann der positive Spiegel wieder in Erscheinung treten und der gerettete Teil schließt sich diesem auf dem weiteren Weg an.

Das Märchen schildert nicht nur den Entwicklungsprozeß, sondern auch die Metaebene, die Spiegelung von Gut und Böse. Das Märchen wirft einen Blick auf die Existenzen von Gut und Böse und deren Zusammenspiel.
Am Anfang steht die Vermeidung der Begegnung von Gut und Böse.
Böses ist in der Spiegelabwesenheit von Gutem möglich und erfolgreich. Böses scheut den Spiegel der Gegenseite "Gut". Es ist eine alte Geschichte, erzählt in vielerlei Methaphern, wie der Teufel fürchtet das Weihwasser... oder anderen rel. Geschichten und Ritualen. Böses ist eine begrenzte Idee, ein "blinder" abgeschlossener Komplex. Das Gute ist keine Spiegelauffoderung für das Böse.
Durch das Geschehen (die Geißlein sind im Bauch des Bösen) wird das Gute gezwungen, sich im negativen Spiegelgeschehen zu beweisen. ( vgl. Mephisto in Faust: ich bin die Kraft, die stets das Böse will und nur das Gute schafft). Der negative Spiegel wird durch mutiges Handeln aufgelöst. Gut beweist sich und beendet damit das Böse.
Das Böse ist eine nichtzuumgehende Spiegelherausforderung für das Gute. Umgekehrt ist dies nicht der Fall. Das Böse lehnt die Spiegelung mit dem Guten ab. Beispiel: Der Wolf schläft, er verschließt die Augen, als die Geißenmutter ihn sucht. Hier liegt die "Begrenzung" und der Schwachpunkt des Bösen. Böses übersieht im satten Zustand Gefahren für seine weitere Existenz. Böses ist kurzzeitiger und augenblicklicher oriertiert – es lebt intensiver – Böses gibt einen Kick und erschöpft sich. ........Böses ist in der eigenen Spannung gefangen. Dies wird deutlich durch die "Spiegelvermeidung".
Diese Fabel " der Wolf und die sieben jungen Geißlein" ist eine grundsätzliche Einführung in den Spannungsbereich von Gut und Böse.

Überleitung zum Märchen "Rumpelstilzchen"

Der Spiegelprozeß zwischen Gut und Böse führt in die Figur des Rumpelstilzchens hinein.
Rumpelstilzchen hat die Mephistogestalt, das Teuflische, das Böse, das Lebensfeindliche und Beraubende. Rumpelstilzchen ist die phantasievolle Verfeinerung des "Wolfes", des einfachen Bösen. Rumpelstilzchen ist raffinierter und zivilisierter. Rumpelstilzchen ist die menschliche Variante des Wolfes.